welche nachhaltigkeit?

Perspektiven der Nachhaltigkeitsbetrachtung und warum es gut ist, einen Standpunkt zu haben.
Papiersackerl und Recycling Zeichen
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Nachhaltiges Investment oder Etikettenschwindel?
nachhaltiges investieren
hat sich binnen weniger Jahre von einem Nischen- zu einem Mainstream-Thema entwickelt. Doch aktuell gibt es auch immer mehr Kritik daran: Zu beliebig sei die Verwendung des Wortes Nachhaltigkeit und zu unbestimmt die über nachhaltige Investments behauptete Wirkung. Stimmt der Vorwurf des Greenwashing? Was ist dran an der Behauptung, nachhaltiges Investment sei bestenfalls ein guter Verkaufstrick und keinesfalls ein Beitrag zur Lösung ökologischer und sozialer Herausforderungen? Für die fair-finance Vorsorgekasse AG sind das wichtige Fragen, weil sie in der Kapitalanlage einen zentralen Hebel für Veränderungen sieht und damit einen Beitrag für soziale Gerechtigkeit und eine ökologisch tragfähige Zukunft leisten möchte. Und ja: Die Kritik ist berechtigt, sie trifft aber nicht auf fair-finance zu. Um das zu verstehen, muss etwas ausgeholt werden.
Wie die Nachhaltigkeit an die Börse kam
Das Hauptmotiv des ethischen und später des nachhaltigen Investierens lag ursprünglich darin, einen Beitrag zur Lösung sozialer und ökologischer Herausforderungen zu leisten. Die ersten Generationen nachhaltig Investierender schauten genau darauf, in welche Unternehmungen sie investierten, weil sie davon ausgingen, dass ein Ausschluss nicht nachhaltig agierender beziehungsweise eine Förderung nachhaltig agierender Unternehmen dazu beitragen kann, nachhaltige Wirtschaftsweisen zu stärken und damit zu einer besseren Welt beizutragen. Bis in die 1990er Jahre war es eine kleine Gruppe von Pionier:innen, welche mit dieser Art des Investierens eine soziale und ökologische Wirkung beabsichtigte. Viele dieser Vorreiter:innen waren auch bereit, auf einen Teil der möglichen Rendite eines Investments zu verzichten, weil sie die Sinnhaftigkeit einer Geldanlage über die Profitmaximierung stellten. Die tatsächlichen Auswirkungen blieben aber überschaubar: Auch wenn frühe Studien bereits das Potenzial erkannten, wonach eine derartige Lenkung des Kapitals dazu beitragen kann, Unternehmen und ihre Produktion nachhaltiger zu machen, waren die an den Finanzmärkten nach ethischen und nachhaltigen Kriterien angelegten Gelder in Summe zu gering, um einen wirklichen Lenkungseffekt zu haben. Der weit überwiegende Teil der institutionellen Investor:innen lehnte nicht-finanzielle (das heißt, ökologische oder soziale) Kriterien der Anlageentscheidung ab. Das Hauptargument: Solche nichtfinanziellen Kriterien haben an der Börse nichts verloren, denn dort gehe es nur um Risiko und Rendite. Und vielleicht auch noch auf Rendite verzichten? Geht doch gar nicht!
Auf Rendite verzichten? Geht doch gar nicht ...
Sustainability matters
Genau hier hakte die Szene der nachhaltigen Investor:innen ein: Als man in den 2000er Jahren überlegte, wie man aus dieser Nische herauskommen und die große Mehrheit der konventionellen Investor:innen für das Thema Nachhaltigkeit gewinnen könne, begann man, das von ökologischen und sozialen Entwicklungen ausgehende Nachhaltigkeitsrisiko für Finanzinvestitionen zu thematisieren. Eine große Rolle spielten dabei die ersten Nachhaltigkeits-Ratingagenturen, die systematische Bewertungen von Unternehmen unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten durchführten und dabei sukzessive den Nachweis erbringen konnten, dass die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken dazu beitragen kann, das Risiko-Rendite-Verhältnis von Investitionen zu optimieren. Kurz: Wenn man weiß, welche Auswirkungen der Klimawandel auf Unternehmen hat und welche Kosten dabei für diese entstehen können, ist das eine wichtige ökonomische Zusatzinformation.
„Sustainability matters“ verbreitete sich von da an in Finanzkreisen immer mehr. Damit wurde dieser Aspekt – also die finanzielle Materialität der nachhaltigen Geldanlage – zunehmend bedeutsamer, und immer mehr konventionelle Investor:innen interessierten sich für das neue Thema Nachhaltigkeit. Dazu trugen einerseits spezialisierte Datenanbieter und Nachhaltigkeits-Ratingagenturen bei, andererseits häuften sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die diese Annahmen bestätigten. In den 2010er-Jahren begann sich dann langsam das Blatt zu wenden. Die bis dahin kleinen und mit bescheidenen Mitteln agierenden Nachhaltigkeits-Ratingagenturen bekamen finanzstarke Partner:innen und Eigentümer:innen und nutzten die Digitalisierung, um das Thema nachhaltige Geldanlage zu professionalisieren. Endgültig besiegelt wurde der Siegeszug des nachhaltigen Investments mit dem EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums (2018), in dem Sustainable Finance zu einer Grundlage für eine Transformation der Wirtschaft in Richtung Green Economy wurde.
Papiersackerl
Doppelte Wesentlichkeit: gesellschaftliche oder finanzielle Wirkung?
Damit aber – und das ist vielen bis heute nicht bewusst – entstanden zwei sich in ihren Motiven unterscheidende Gruppen des nachhaltigen Investierens: Zum einen jene Investor:innen, welche mit ihren Investments einen Beitrag dazu leisten wollen, dass die Wirtschaft nachhaltiger wird und dass die Auswirkungen der Wirtschaft auf Gesellschaft und Umwelt weniger schädlich sind (Inside-out-Perspektive). Und zum anderen die Investor:innen, die besser verstehen wollen, welche Risiken sich für Unternehmen hinsichtlich sozialer und ökologischer Entwicklungen ergeben und wie sich Unternehmen gegen solche Schocks schützen können (Outside-in-Perspektive). Während es den einen um gesellschaftliches Engagement geht, steht für die anderen die finanzielle Materialität und damit ein verbessertes Risikomanagement im Vordergrund. Diese Unterscheidung wird heute unter dem Begriff der doppelten Wesentlichkeit – der Double Materiality – diskutiert. Das geht so weit, dass auch Gütesiegel zur nachhaltigen Geldanlage (wie das staatliche österreichische Gütesiegel für Finanzprodukte, das Umweltzeichen 49) diese Differenzierung künftig hervorheben und damit Fehlentwicklungen entgegentreten wollen.
Damit lässt sich ein Gutteil der eingangs angeführten Kritik am nachhaltigen Investieren nachvollziehen. Was von Ratingagenturen als nachhaltig eingestuft wird, hängt nämlich von der Perspektive ab. Und Nachhaltigkeits-Ratingagenturen unterscheiden sich dahingehend signifikant, was wissenschaftliche Studien mittlerweile ebenfalls belegen. Ein Großteil dessen, was heute unter „nachhaltigem Investment“ firmiert, verfolgt den Ansatz der finanziellen Materialität, bei dem es im Wesentlichen um Risikomanagement geht. Für einige stellt sich die Frage, ob hier die Bezeichnung „nachhaltiges Investment“ tatsächlich noch gerechtfertigt ist, oder ob nicht bereits von Etikettenschwindel die Rede sein sollte. Gleichwohl: Die positiven Aspekte, welche der Ansatz der finanziellen Materialität für das Risikomanagement im Asset Management bietet, sind eine nicht mehr wegzudenkende Bereicherung in Bezug auf die finanziellen Ziele einer Geldanlage und bieten durchaus sinnvolle Steuerungsmöglichkeiten für die Kapitalanlage. Es kommt halt – wie so oft – auf die richtige Mitte an.
Der Standpunkt bestimmt die Perspektive
Was bedeutet das nun für die fair-finance Vorsorgekasse? Seit ihrer Gründung verfolgt fair-finance die Absicht, mit der Kapitalanlage eine gesellschaftliche Wirkung zu erzielen. Diesen Standpunkt hat fair-finance auf der Basis klar ausformulierter Wertemaßstäbe stets vertreten. Mit einem eigens entwickelten Social Score werden bei der Auswahl der Anlagetitel ökologische und soziale Aspekte sowie solche der guten Unternehmensführung prioritär im Sinne einer Inside-out-Perspektive berücksichtigt. Dazu kommen besonders wirkungsaffine Anlageklassen wie Venture Capital, Mikrofinanz, Sustainability-Linked Debt oder nachhaltige Immobilien, bei denen der positive gesellschaftliche Impact den Fokus bildet. Damit unterscheidet sich fair-finance auch bewusst von Mitbewerber:innen. Über die Jahre wurde bei fair-finance auch die Expertise aufgebaut, sich im Kontext dieser Herausforderungen zurechtzufinden und die Entwicklungen auf praktischer, akademischer und politisch-regulativer Ebene nicht nur zu verfolgen, sondern aktiv mitzugestalten. So werden etwa wissenschaftliche Erkenntnisse sukzessive in die hauseigene Theory of Change integriert und politisch-regulatorische Entwicklungen nicht passiv hingenommen. Vielmehr wird versucht, diese aktiv mitzugestalten.
Die Kritik an einem ausschließlich auf Risikomanagement abzielenden Verständnis von nachhaltigem Investieren ist berechtigt und zu unterstützen, weil es das Ziel sozial und ökologisch verträglichen Wirtschaftens nicht nur verfehlt, sondern sogar untergraben kann. Für fair-finance ist klar: Die Kapitalanlage ist ein Hebel für soziale und ökologische Verbesserungen in der Wirtschaft. Damit dies gelingen kann, muss bei der Kapitalanlage der Fokus auf der gesellschaftlichen Wirkung liegen.