von den (un-) möglichkeiten des nachhaltigen reisens

Wer heute reist, vor allem an weit entfernte Orte, der muss sich nicht nur mit der Suche nach dem richtigen Hotel, der schönsten Destination und der besten Reisezeit auseinandersetzen. Auch die Frage nach der Nachhaltigkeit ist längst fester Bestandteil jeder Reisevorbereitung.

Strand mit Palmen
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QUANG-NGUYEN-VINH / PEXELS
Paradies auf Erden: Auf den Malediven warten traumhafte Strände. Reisende haben zudem die Möglichkeit, beim Wiederaufbau der Korallenriffe zu helfen.
gerade noch huscht die geisterkrabbe
aus dem Weg, dann stapfen auch schon vier Fußpaare über den feinweißen Maledivensand. Die Spuren, die diese Touristen hinterlassen, dienen jedoch – im Gegensatz zu den berüchtigten CO₂-Fußabdrücken – einem guten Zweck: Denn sie tragen, gemeinsam mit dem Tauchlehrer des Resorts, ein Gittergestell bestückt mit Korallensegmenten in Richtung Ozean. Der heutige Tagesplan listet neben Sunset-Yoga die Aufforstung des lokalen Riffs. Eine Initiative, der sich in den letzten Jahren ein Großteil der Inselresorts des Archipels verschrieben hat. Und nur eine von zahlreichen Aktionen, die davon zeugen, dass das Thema Nachhaltigkeit auch an die einsamen Gefilde tropischer Strände vorgedrungen ist.

Alle, die jemals die Reiselust gepackt hat, die von Korallenstränden oder Dschungelabenteuern träumen, werden wissen: Das Gute liegt nicht immer so nah. Ziemlich häufig sogar befinden sich die schönsten, interessantesten Orte dieser Erde tausende Kilometer von uns entfernt. Dass das jedoch längst kein Problem mehr darstellt, vor allem, wenn man das nötige Kleingeld besitzt, hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt: Heute in den Flieger zu steigen und morgen am anderen Ende des Globus zu landen, ist mittlerweile völlig alltäglich. Die privaten Odysseen und Kurztrips gehen jedoch nicht nur auf unser zeitliches Konto, sie haben zudem große Auswirkungen auf die Atmosphäre. Das wirft die Frage auf, ob es in Zeiten des Klimawandels noch vertretbar ist, um die Welt zu jetten – und auch, wie wir die Orte schützen und unterstützen können, an die wir uns an langen, regnerischen Tagen im Büro träumen.
Von Lignano um die Welt
Der Tourismus, wie wir ihn heute kennen, ist eine relativ neue Entwicklung. Was in den 1960ern mit Strandurlauben in Italien und den ersten Linienflügen an exotische Destinationen begann, hat sich über die Jahrzehnte zu einer gut geölten und weit verzweigten Reiseindustrie entwickelt. Vor allem im Zuge der Digitalisierung machte die Entwicklung des Massentourismus einen enormen Sprung; und zweifelsohne kann Social Media dafür verantwortlich gemacht werden, dass Reisen heute fast schon zum guten Ton gehört. Wer sich bewusst mit dem Thema auseinandersetzt, wird jedoch nicht umhin kommen, über die Auswirkungen der Flugbeförderung nachzudenken. Oder darüber, ob denn die Menschen vor Ort davon profitieren, dass ihr kleines Paradies sich zum überlaufenen Hotspot gemausert hat. Sich deshalb auf ewig nach Balkonien zurückzuziehen, löst nur eine Seite des Problems. Denn zugleich bauen diese Orte zu einem Großteil auf das Einkommen, das der Tourismus generiert. So sind auf den Malediven eindrucksvolle 90 Prozent der Steuer- und Zolleinnahmen tourismusbezogen. Die Lösung lautet nicht „Verzicht“; vielmehr sieht die Branche das immer stärker werdende ökologische und soziale Bewusstsein der Menschheit als Chance, sich in eine nachhaltigere Richtung zu entwickeln.
Kerosin — aber bio?
Mit Algen in die Lüfte: Dank des hohen Fettgehalts und des schnellen Wachstums eignen sich Algen hervorragend als Treibstoff, weshalb man seit einigen Jahren an der Herstellung des Biokerosins arbeitet. Auch Altspeiseöl oder Wasserstoff sowie Strom sollen das bisherige Kerosin in den kommenden Jahrzehnten ersetzen bzw. ergänzen. Das ausgesprochene Ziel der EU: Bis 2050 sollen 85 % des Treibstoffs nachhaltig werden.
Aufbruch: Die Reise zum nachhaltigen Tourismus
Größter Buhmann des Reisesektors ist und bleibt der Flugverkehr, ist er doch ein weitaus größerer Verbraucher als alle anderen Arten der Mobilität. Zwar sind die Silbervögel in den letzten drei Jahrzehnten durchaus treibstoffeffizienter geworden, ihr Ausstoß ist dennoch verheerend: Einer Studie aus dem Jahr 2021* zufolge ist dieser für 4,9 Prozent der Klimaschäden verantwortlich. Ein Kilometer, den man mit dem Flieger zurücklegt, ist somit 31-mal so klimaschädlich wie ein mit der Bahn zurückgelegter.** Herr und Frau Mustermann sind in der heutigen Zeit also dazu angehalten, über ihre Lebensweise nachzudenken. Eine Problematik, die immer wieder angesprochen wird, sind Kurzstreckenflüge; in Europa allein sind sie für ein Viertel des gesamten CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Viele dieser Flüge ließen sich ohne Weiteres durch Zugstrecken ersetzen – Greenpeace fordert sogar, Inlands- bzw. Kurzstreckenflüge zu verbieten, sollte es möglich sein, dieselbe Route in unter sechs Stunden mit der Bahn zu bewältigen. Ein Plan, der jedoch für viele Reisende wenig attraktiv und oft nicht machbar erscheint. Aber sogar, wenn man Kurzstrecken ab sofort ausschließlich per Zug bereist; was ist mit jenen Destinationen, die schlichtweg zu weit entfernt sind? Darf und kann man heutzutage noch Fernreisen unternehmen? Und wenn ja: Wie kann man dies auf nachhaltige Weise tun?
Nachhaltigkeit in der Hotellerie
Mittlerweile können nachhaltig Reisende aus einem breiten Angebot an grünen Unterkünften wählen, von luxuriösen Eco-Friendly-Resorts mit fünf Sternen wie Soneva bis hin zu günstigen Ökohotels oder dem deutschen Anbieter Socialbnb. Auf der Suche nach dem perfekten Hotel helfen professionelle Reiseanbieter, aber auch Websites wie BookitGreen.com oder BookDifferent.com.
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Eco-Tourismus
Wer in die Ferne schweift, weiß meist um die Auswirkung des eigenen Fluges – dass man diese jedoch zumindest teilweise ausgleichen kann, dessen sind sich die wenigsten bewusst. Organisationen wie Atmosfair ermöglichen es Passagieren, den durch die Reise verursachten CO₂-Ausstoß durch kleine Aufzahlungen, die in Klimaprojekte fließen, zu kompensieren. Zudem ist man immer gut beraten, auf Direktflüge und Airlines mit hoher Klimaeffizienz zu setzen. Abgesehen vom Flug kann auch die Wahl der Destination, des Resorts und sogar der dort gekauften Produkte einen großen Unterschied machen. Denn: Der Massentourismus hatte teilweise immens negative Auswirkungen auf Umwelt und Einwohner:innen der Orte, die uns ins Schwärmen bringen.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der wohl berühmteste Strand der Welt: die Maya Bay in Thailand. Jahrelang wurde der durch Leonardo DiCaprios „The Beach“ bekannt gewordene Ort von tausenden Touristen überströmt. Die Folgen waren beinahe fatal für das Ökosystem. Bis man beschloss, dem Overtourism den Garaus zu machen und den Strand drei Jahre lang stillzulegen. Die Phase der Regeneration war erfolgreich – und lehrreich: Heute kann der Strand wieder besucht werden, jedoch nur unter strengsten Auflagen. Auch andere Top-Destinationen, etwa Pamukkale in der Türkei, haben dem unkontrollierten Besucherstrom längst einen Riegel vorgeschoben. Städte müssen meist kreativer sein, da sie nicht einfach ganze Plätze schließen können: So hat Barcelona etwa den Bau neuer Hotels untersagt, während Venedig die direkte Zufahrt von Riesenkreuzfahrtschiffen verbot.
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Die Maya Bay ist wieder geöffnet — kann jedoch nur unter strengen Auflagen esucht werden.
Vom Kleinen ins Große
Das Bewusstsein, dass sich im Tourismus etwas ändern muss, wurde durch die Pandemie weiter verstärkt. Ganz in diesem Sinne war das Jahresthema des Welttourismustages 2022 daher auch „Zukunft umdenken“. Man ist bestrebt, die Entwicklung der ökologischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Aspekte voranzutreiben, um langfristige Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Für Reisende bedeutet dies vor allem, dass ihnen mittlerweile ein breiteres, umweltfreundlicheres Angebot zur Verfügung steht. Heute kann man sich aktiv daran beteiligen, einen Ort besser zu hinterlassen, als man ihn vorgefunden hat. Das kann im Kleinen beginnen, etwa, indem ein Maledivenresort seine Gäste dazu einlädt, gemeinsam neue Korallen zu pflanzen. Oder indem lokale Anbieter, etwa kleine Shops oder Restaurants, in den Profit und die Entwicklung der Region einbezogen werden. Das ermöglicht ihnen, Traditionen weiterzuführen oder den eigenen Lebensstandard zu verbessern. Darüber hinaus spielt die Wahl des „richtigen“ Hotels eine Rolle: Buche ich das günstige Hotel, das sich nicht um Mülltrennung oder die Gemeinde schert, oder miete ich ein Socialbnb und lerne die Kultur aus nächster Nähe kennen?

Tourismus hat demnach die Macht, lokale und regionale Gemeinden zu unterstützen und zu fördern. Organisationen wie Sustainable Travel unterstützen Gemeinden, Unternehmen sowie Regierungen bei ihren Zielen, indem sie die verschiedenen Parteien miteinander verknüpfen und ihnen konkrete Werkzeuge zur Umsetzung in die Hand geben. Der Weg mag noch weit scheinen, die ersten Schritte sind jedoch bereits getan.

"Wir können nur schützen, was wir auch kennen."

Heins Sielmann
Reisen oder nicht reisen ...
… das ist für viele von uns, auch angesichts der Klimakrise, nicht die Frage. Die tatsächliche Frage ist und bleibt: Wie wollen und werden wir in Zukunft reisen? Der deutsche Tierfilmer, Zoologe und Autor Heinz Sielmann sagte einst: „Wir können nur schützen, was wir auch kennen.“ Es gilt also, dem Strandsardinendasein den Rücken zu kehren und sich auch als Tourist:in bewusster mit dem Reiseziel auseinanderzusetzen. Hotels zu wählen, die besonders grün sind. Vor Ort lokale Unternehmen und Personen zu unterstützen, indem man Dienstleistungen bei ihnen bucht und sein Geld nicht nur im Hotel lässt. Oder in den Indischen Ozean zu springen und während des nächsten Maledivenaufenthalts ein kleines Korallenriff zu pflanzen – um jenen Ort zu schützen, den man gerade hautnah kennenlernen darf …
*Elsevier: Aviation and global climate change in the 21st century.
Atmospheric Environment. (2009).
Quelle: www.elib.dlr.de/59761/1/
lee.pdf
** Umweltbundesamt: Emissionsfaktoren bezogen auf Personen-/
Tonnenkilometer. Wien: 2018.
Quelle: www.umweltbundesamt.
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