auf bakterien
bauen

Es ist der Stoff, aus dem die Nachhaltigkeits­träume sind: Bakterielle Cellulose ist vielseitig einsetzbar und schont Ressourcen — ein Biomaterial, auf welches große Hoffnungen gesetzt werden.
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Ronja Breitkopf
ob als gewebematerial
für Implantate oder künstliche Organe im menschlichen Körper, als Stoff in der Bekleidungsindustrie, in Nahrungsmitteln oder Pharmazeutika: Zu sagen, Cellulose sei vielseitig, ist beinahe schon untertrieben. Wir alle sind umgeben von dem Biomaterial, das als Kleidung oder Schreibunterlage, in Medikamenten und Möbeln unser Leben begleitet. Das Problem? Damit wir den Stoff nutzen können, werden Wälder gerodet – und genau hier kommen die Bakterien ins Spiel.
Cellulose: Was ist das eigentlich?
Die Cellulose, ein langkettiges, unverzweigtes Glukosemolekül, ist das am häufigsten vorkommende Biomolekül der Welt. Das Kohlehydrat macht die Hälfte der pflanzlichen Zellwände, also Stängel, Zweige und holzige Teile, aus. Um diese Zahl noch anschaulicher zu machen: Mutter Natur produziert jährlich rund 1.011 bis 1.012 Tonnen Cellulose.¹ So ist es auch nicht verwunderlich, dass das nachwachsende, abbau- und recyclebare Biomaterial, das uns ja beständig umgibt, seit jeher in allen möglichen Bereichen Anwendung findet. Ganz so umweltfreundlich ist das alles aber nicht: Denn um an die wertvolle Cellulose zu gelangen, müssen Bäume gefällt werden – und diese speichern im Laufe ihres Lebens Kohlendioxid. Bei der weiteren Verarbeitung gelangt dieses CO₂ wieder in die Atmosphäre, zugleich wird das zukünftige Speicherpotential der Wälder gemindert. So wurden seit 1990 rund 420 Millionen Hektar Wald gerodet; in jeder Minute verliert die Erde eine Waldfläche im Ausmaß von 27 Fußballfeldern.² Gute 14 Prozent der globalen Abholzung lassen sich hierbei auf die Gewinnung von Holzcellulose zurückführen – der weltweit höchste Bedarf mit 30.000 Tonnen per annum entfällt übrigens auf den Pharmasektor.³ Auch, wenn bereits zig Organisationen Wiederaufforstung betreiben: Bäume brauchen ihre Zeit, um zu wachsen. Der „unerschöpfliche“ Rohstoff zeigt sich also ziemlich erschöpft: Alternativen sind gefragt.
Ein besseres Leben für Bakterien: Studien zeigen auf, wie die Produktion bakterieller Cellulose optimiert werden kann. Das geht etwa, indem man die Kulturbedingungen — die Temperatur, den pH-Wert und die Natriumalginat­konzentration — für Acetobacter xylinum verbessert.⁴
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Innovent E.V. Technologienentwickung
Bakterien am Ball
Wie der Name bereits verrät, wird die Bakterielle Cellulose (kurz: BC) von Bakterienarten, insbesondere Acetobacter xylinum, produziert. Der Vorgang ist relativ simpel: Den Bakterienstämmen wird Glukose zugeführt, diesen synthetisieren sie dann zu Cellulose mit dreidimensionaler Struktur und beeindruckenden mechanischen Eigenschaften. Derzeit forscht man bei der INNOCENT e.V. Technologieentwicklung in Jena an dem Material. „Der große Vorteil ist, dass BC sehr rein ist“, weiß Ronja Breitkopf, Abteilung Biomaterialien. „Pflanzliche Cellulose enthält meistens noch Ligninverbindungen oder Hemicellulose, die als Verunreinigungen gelten und chemisch entfernt werden müssen, was der Umwelt nicht unbedingt zugutekommt.“ Zudem sei die Vernetzung straffer und somit das Material stärker als herkömmliche Cellulose, auch könne man BC leichter und ortsunabhängig – und somit unbeeinflusst von den spezifischen Umweltbedingungen oder -belastungen – in immer gleich guter Qualität reproduzieren.

Bis die Bakterien die wirtschaftliche Celluloseherstellung „regieren“, wird aber noch ein wenig Zeit vergehen müssen: Derzeit ist die Herstellung aus Kostengründen leider nur im kleinen Maßstab möglich, da die Beschaffung der erforderlichen Medien sowie die Produktion noch zu teuer sind. So wird – unter anderem im Biolabor in Jena – noch viel geforscht und versucht, den gesamten Prozess zu optimieren. „Eine Möglichkeit wäre etwa, solche Cellulose-Produktionsfermenter an eine Industrie anzubinden, wo man deren Nebenströme als Medium nutzen könnte und entsprechende Nebenkosten wegfallen würden“, erklärt Ronja Breitkopf eine Option. Ist es einmal so weit, kann das Material ebenso vielfältig verwendet werden wie ihr pflanzliches Vorbild – so gibt es bereits Unternehmen, die künstliches, veganes Leder oder Gesichtsmasken für die Haut aus BC herstellen; und das alles im Geiste der Nachhaltigkeit und Innovation. Bis wann die Bakterielle Cellulose effizienter sowie wirtschaftlicher wird, kann noch nicht gesagt werden – sollte es jedoch in naher (oder ferner?) Zukunft einmal so weit sein, dürfen die Bäume und Pflanzen auf unserem Planeten (zumindest um 14 Prozent leichter) aufatmen.
So wird aus Bakterien Cellulose
1 
Bakterienstämme werden mit Glucose (Zucker) gefüttert. Außerhalb ihrer Zellmembran besitzen sie Enzyme, an der sie diese mithilfe von Sauerstoff phosphorylieren. So produzieren sie extrazelluläre Cellulose.
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Diese extrazelluläre Cellulose wird behandelt, um die lebenden Zellen abzutöten, etwa durch Hitze und Lauge.
3 
Im Anschluss kann die Cellulose weiterverarbeitet werden (etwa durch Gefriertrockung).
Quellenangaben
1 _ Optimized culture conditions for bacterial cellulose production by Acetobacter senegalensis MA1.
bmcbiotechnol.biomedcentral.com
3 _ Muhamad et al.: Sustainable and Economical Production of Biocellulose from Agricultural Wastes in Reducing Global Warming and Preservation of the Forestry.
researchgate.net
4 _ Enhanced Production of Bacterial Cellulose from Miscanthus as Sustainable Feedstock through Statistical Optimization of Culture Conditions.
pubmed.ncbi.nlm.nih.gov